Pakt für digitale Verblödung oder Chance?
Deutschlands Schulen sollen nun also in fünf Jahren flächendeckend am Breitbandanschluss sein. Fünf Milliarden Euro sind dafür bisher frei gegeben und der Pakt wurde besiegelt. Nun ist der Weg frei , um das Bildungsniveau an den Schulen im Lande wieder in aufwärtsführende Bahnen zu lenken?
Das Land der Dichter und Denker hatte in der Vergangenheit einen ausgezeichneten Ruf: Zahlreiche Erfindungen und wissenschaftliche Leistungen unterstrichen weltweit dieses Ansehen, aber diese Zeiten sind vorbei. Heutige Schüler haben schon mit den Grundrechenarten Probleme und mit den Lesekompetenzen ist es ebenfalls nicht gut bestellt. Die aktuellen Ergebnisse der Vergleichsarbeiten für die Berliner Drittklässler (Vera 3) offenbaren erneut immense Defizite. Drei Viertel der 24.000 Grundschüler schaffen nicht den von der Kultusministerkonferenz gesetzten Regelstandard im Bereich der Rechtschreibung. Die Hälfte bleibt sogar unter den Mindestanforderungen. Das belegen die noch nicht veröffentlichten Ergebnisse, die dem Tagesspiegel vorliegen. … Die rund 24.000 Drittklässler waren in Deutsch und Mathematik geprüft worden – und die Resultate sind miserabel.
Erfahrene Lehrer wundert es nicht, denn die Bildungsziele der letzten Jahrzehnte änderten sich vom Leistungsanspruch in den gelehrten Fächern hin zum „sozialen Miteinander“. Einen Tag verbringen die Tafelklassler im Wald, um nach Montessori-Pädagogik den Unterrichtsstoff „zu erfassen“. An einem zweiten Tag stehen Werken, Turnen und gemeinsames Musizieren auf dem Programm. „Da ist es dann schwer, die Kinder zum Schreiben zu motivieren“, beklagt sich eine betroffene Mutter. Kurz und gut, die Tafelklassler haben eine 3-Tage-Woche. Zu wenig, um die Fähigkeiten in Schreiben, Lesen und Rechnen zu erlernen. Lehrer sind heute degradiert zu Förderern von Sach- und Fachkompetenzen der Schüler, die sie zu eingliederungsfähigen Werkzeugen mit Kaufkraftpotential entwickeln sollen. Christoph Türcke spricht in seinem Buch „Lehrerdämmerung“ von reinen Kompetenzbeschaffungsgehilfen, die das vorgegebene Schulkonzept umsetzen. Und Erziehungswissenschaftler Dr.Matthias Burchardt stimmt dem nicht nur zu, sondern spricht im SWR-2 von einer Geiselung des sebstgesteuerten Lernens. Der Lehrer würde zum „Schrumpflehrer“, weil menschliche Grunddimensionen beim Lernen unter den Teppich fallen würden. Kritiker vom Fach und mit wirklicher Berufserfahrung gibt es viele. Sie melden sich auch zu Wort, veröffentlichen Studien und Bücher …nur die Entscheidungen werden woanders getroffen.
Mit mangelnder Befähigung von der Grundschule ausgestattet, wechseln viele dann auf die weiterführenden Schulen. Ohne gefestigte Grundlagen gehen die nun anstehenden Aufgabenstellungen natürlich nicht so leicht von der Hand und hinterlassen oftmals Frust. Auf keinen Fall dient es der positiven Einstellung zur Schule, sondern unterstreicht nur maximal die Einsicht in den Zwang.
Der sonst recht medienmeinungskonforme bekannte Professor Harald Lesch äußert sich dazu sehr verständlich:
Es geht heute also nicht mehr darum Wissen zu vermitteln, sondern Kompetenzen zu entwickeln – ein Ergebnis der an der Ökonomie ausgerichteten Erziehungswissenschaft. Das Resultat sind Fachidioten und nicht die wirklich rundum gebildete junge Menschen, die optimistisch in die Zukunft blicken. Trotzdem schaffen immer mehr Schüler (etwa 40 Prozent) das Abitur, oft mit sehr guten Noten. Seit vielen Jahren werden die Anforderungen an die Reifeprüfung gesenkt – dem Niveau der Schüler angepasst – was dann wieder die Ergebnisse der nächsten PISA-Studie belegen. Das dann übliche Blabla-Gerede der Politiker über all das, was geändert werden müsste, kennen wir seit Jahren. Getan wird genau das Gegenteil. Der erste Schritt zur Besserung ist die zur Kenntnisnahme ehrlicher Analysen, die nicht dem vorher, von Studienauftraggebern, angepeilten Ergebnis entsprechen. Von erfahrenen Praktikern gibt es davon inzwischen mehr als genug.
Besonders für Lehrer möchte ich den Internetauftritt von Lehrer Dominik Schöneberg empfehlen, der unter dem Motto:„Warum ich kein guter Lehrer sein kann. Und wie ich es trotzdem versuche“, seine Erkenntnisse anschaulich und prägnant darstellt.
Nun kommt aber die Lösung – der digitale Pakt wird es richten – oder doch nicht? Die Digitalisierung umfasst heute alle Lebensbereiche und natürlich kann man davor nicht die Augen verschließen. Der Umgang mit den neuen Medien muss ein fester Bestandteil der Entwicklung eines modernen Menschens sein. Neu ist nicht immer und überall besser und die Einschätzung, dass allumfassende Digitalisierung absolut richtig ist, ist genauso falsch wie die totale Ablehnung der Moderne. Inzwischen gibt es genügend aussagekräftige wissenschaftliche Studien über die Auswirkung der Nutzung digitaler Medien. Den besten Vortrag dazu fand ich von dem Hirnforscher Prof.Dr.Dr. Martin Spitzer, der prägnant und beeindruckend die erwiesene Auswirkung digitaler Medien auf die kognitive Entwicklung bei Groß und Klein hinweist.
Bitte hören Sie ihm zu – auch im eigenen Interesse.
Professor Spitzer, Autor des Buches „Digitale Demenz“, belegt ganz klar (vor allem in erschreckenden MRT-Bildern), dass PC und Tablet Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht nur schadet, sondern, dass die Auswirkungen viel drastischer sind, als bisher angenommen. Der Begriff „hohle Nuss“ hat nach diesem Vortrag für mich eine neue Bedeutung. Das Gehirn ist das wichtigste Organ. Prof.Spitzer zitiert Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716), der vor 200 Jahren sagte: „In unserem Kopf passiert unglaublich viel – von dem kriegen wir nichts mit. Aber in der Summe hat es einen Effekt…. Die Summe all dieser Effekte, die nenne ich Person.“
Heute wissen wir von der Entwicklung der Synapsen im Gehirn, die nur durch individuelles Lernen und Praktizieren entstehen. Das macht jeden Einzelnen aus. Nicht nur, dass die Entstehung und Verknüpfung der Synapsen durch die Dauernutzung digitaler Endgeräte erschreckend ausbleibt oder zurück geht, auch die anderen schädigenden Auswirkungen sind längst wissenschaftlich belegt. Die kognitive Entwicklung bleibt schon durch die einseitige Bewegung beim Tippen und Wischen auf Bildschirmen zurück bzw. ist es auch dem Laien klar verständlich, dass die verkümmerte Benutzung der Hände Auswirkungen auf das Gehirn hat. Das „Begreifen“ der Welt hat Sinn und nur Interaktion fördert den Grips bzw. das Hirn. Weniger Denken durch mehr Klicken. Die Kurzsichtigkeit von heute unter 20Jährigen hat drastisch zugenommen – in Europa sind 30% betroffen in China 80% und in Südkorea unglaubliche 90%. Bei den Rentnern sind etwa 5% betroffen. Wer ständig auf kurze Distanz sieht, wird kurzsichtig. Nachweislich steigt die Zahl der von Bluthochdruck betroffenen 15jährigen.
Depressionen, Sucht, Aufmerksamkeits- und Persönlichkeitsstörungen sind aktenkundig. Und nicht zuletzt ist das stark herabgesetzte Empathievermögen nicht nur allgegenwärtig festzustellen, sondern wissenschaftlich belegt. Fazit nach der Auswertung der durch Studien belegten Ergebnisse ist: Lernschwache werden durch die Nutzung digitaler Endgeräte schwächer bzw. noch stärker geschädigt, als die „besseren“ Schüler. Das „Science Magazin“ hat diverse Artikel veröffentlicht, die eindeutig darauf hinweisen, dass nichts weniger zum Lernen geeignet ist als digitale Endgeräte.
Jetzt gibt es also 50Mio dafür, dass die Lernergebnisse an Schulen um 10-15% herab gesetzt werden. Nun werden Einige sagen – ja, aber der internationale Standard und andere Länder machen es uns doch an ihren Schulen vor…. Ist das so? In Australien wurde seit 2012 das digitale Lernen an den Schulen eingeführt und 2015 hatte jeder Schüler ein eigenes Tablet. 2016 wurde diese Lernmethode wieder abgeschafft, da die Auswertung der Ergebnisse eine immense Verschlechterung der Leistungen der Schüler ergab. Schulen in Japan praktizieren ein Umdenken – weg vom PC – hin zu fächerübergreifendem Unterricht. Von reiner Beschulung und Nutzung der Tablets kommt man nun zu Experimenten, die praktische Anwendungen und Denken kombinieren. Den Sprachunterricht halten 2 Lehrer – einer vor der Klasse und einer in der Klasse, der den einzelnen Schüler zum Sprechen animieren und das Vertrauen stärken soll.
Wussten Sie, dass Steve Jobs seinen Kindern die Nutzung eines I-Pads untersagt hat? Bill Gates hat seinen Kindern die Nutzung eines Handys erst mit 14 gestattet. Nanu? Bemerkenswert finde ich auch, dass die Universitäten Harvard und Stanford die Nutzung des Laptops während des Unterrichts inzwischen untersagen. Es ist erwiesen, dass beim Mitschreiben viel mehr „hängen bleibt“ als beim Mittippen.
Bei uns werden die langjährigen Erfahrungen anderer Länder, die inzwischen zu klassischen Lernkonzepten zurückkehren – als da wären Südkorea, Australien, einzelne US-Bundesstaaten, Holland u.a.m., nicht zur Kenntnis genommen. Führen auch die immer wieder mit viel Sachverstand im eigenen Land vorgetragenen Warnungen aus Pädagogik, Kinderpsychologie, Medizin und Neurowissenschaft unsere Politiker nicht zum Nachdenken? Oder sollte tatsächlich ein anderes Interesse hinter der Vermarktung digitaler Endgeräte liegen?
Sicher ist reiner Frontalunterricht, also die Form der reinen Beschallung durch den Lehrer, der dies manchmal als Selbstzweck verstand, kontraproduktiv. Der Trend zum Edutainment kann aber gewiss nicht die Lösung sein.
Wir erleben gerade eine Rückentwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Gab es im 19.Jahrhundert die Bewegung von der Heimarbeit hin zur kollektiven Industriearbeit, so vollzieht sich da nun eine gewisse Kehrtwende. Heimarbeit hat Konjunktur (dafür gibt es verschiedene Gründe, auf die ich hier nicht näher eingehe). Durch die Vernetzung und Computer ergeben sich da ungeahnte Möglichkeiten. Wie überflüssig ist Rechtschreibung, da doch unsere bedauernswerte Orthographie elektronisch korrigiert wird. Wozu braucht der Mensch eine ganz persönliche Handschrift- hat er doch heute einen Computer. Stopp – haben wir nicht gelernt, dass nur die eigene Handschrift rechtsfähig ist?……. Aber wer denkt schon an so etwas. Genauso verhält es sich mit dem Verhältnis von Rechenkunst zu Taschenrechner bzw. heute bedient auch dies unser Handy.
Siegmund Freud:
„Leistung und Erfolg setzen Bedürfnis- und Triebaufschub voraus – Heute sind die Begriffe Leistung und Anstrengung fast negativ belastet und man vergisst, dass genau diese Zwei Faktoren einem Menschen zur Selbstständigkeit und Größe verhelfen. Letztendlich basiert auf diesen Fähigkeiten die Existenz und Qualität eines gesellschaftlichen Gefüges.“
Kinder sollen mit Liebe und klaren Regeln aufwachsen, um ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Wissbegierde, vielseitige Begeisterungsfähigkeit, ein um die Ecke denken können und soziale Kompetenz lernt man nur im menschlichen Miteinander. Niemand möchte mehr die alten Lehrmethoden – die frontale Gleichschrittpädagogik. Es gilt jetzt die digitale Technik mit analogen Methoden zu verbinden. Ein individualisiertes Lernen kann nur gelingen, wenn Lehrer entlastet werden. Ständig neue Anforderungen an die Lehrerschaft von Seiten der Politik, wie die gewünschten Integration bei steigender Kinderzahl….. sind nicht ohne mehr Personal zu bewältigen. In dem Punkt ist Finnland uns weit voraus. Dort hat man an den Schulen das Personal drastisch aufgestockt. Es gibt nicht nur mehr Lehrer für kleinere Klassen, sondern auch Sonderschullehrer, die sich um Kinder mit Lernschwierigkeiten kümmern, Kuratoren, die sich für soziale Belange der Schüler einsetzen, Psychologen für Lehrer und Schüler und medizinische Betreuer in jeder Schule. Lehrer sind hochangesehen und die Zahl der Bewerber für diesen Beruf steigt. Übrigens werden nur etwa 10% von ihnen zum Studium zugelassen. Zum Auswahlverfahren gehört vor allem, ob sie in der Lage sind, komplizierte Sachverhalte verständlich zu vermitteln – ohne PC. Die Ergebnisse bei Pisa-Vergleichen geben den Finnen recht. Übrigens werden vermehrt in einigen Ländern (Frankreich, Japan, Holland, Finnland..) die Handys vor dem Unterricht eingesammelt. Die Konzentration der Kinder ist wieder auf das Leben fokussiert. Um den Herausforderungen der vernetzten digitalen Gesellschaft gewachsen zu sein, müssen auch neue Wege beschritten werden, gar keine Frage. Dabei muss aber auch die bisher gesammelte Erfahrung einbezogen werden. Und zum Schluss möchte ich auch noch erwähnen, dass bei allen Trends, die an den Schulen praktiziert werden, eines nie ersetzt werden kann – die liebevolle Anleitung und Betreuung durch die Eltern, die eine ausgeglichene Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich bestimmt.
Christiane Clauss-Ude
Buchempfehlungen
„Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ von Josef Kraus
– Gymnasium? Elitär – weg damit!
– Hauptschule? Restschule-weg damit!
– Förderschule? Diskriminierend-weg damit!
– Literaturkanon? Bürgerlich-weg damit!
– Sitzenbleiben? Zeitverschwendung-weg damit!
– Hausaufgaben? Stressig-weg damit!
– Frontalunterricht? Mittelalterlich-weg damit!
– Auswendiglernen? Überflüssig in den Zeiten von Google und Wikipedia-weg damit!
– Anstrengung? Spaßbremse-weg damit!
das Buch lesen
Manfred Spitzer
Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen
Manfred Spitzer, Deutschlands bekanntester Gehirnforscher, warnt vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs unserer Kinder. Wissenschaftliche Studien belegen, dass bei intensiver Nutzung von Computerspielen und Online-Chats unser Gehirn abbaut. Kinder und Jugendliche sind oft kaum noch lernfähig. Die Symptome: Aufmerksamkeitsstörungen und Realitätsverlust, Stress, Depressionen und zunehmende Gewaltbereitschaft. Manfred Spitzers Buch ist ein absolutes Muss für alle Eltern, Lehrer und Erzieher.